Foto: Lina Who
Kera Rachel Cook
Ein Model werden – das ist ein Traum unzähliger junger Mädchen. Die Tübingerin Kera Rachel Cook lebte diesen Traum, der zum Albtraum wurde. Heute studiert sie, arbeitet als Plus-Size-Model und hält Vorträge, in denen sie über ihre Erfahrungen berichtet. MORITZ-Redakteur Alexander Steinle traf sich mit ihr und sprach über Minderwertigkeitskomplexe, Essstörungen und »Germany‘s Next Topmodell«.
Wann hast du das letzte Mal ein Kompliment bekommen?
Das war heute. (lacht) Von meinem Freund.
Bekommst du oft Komplimente?
Naja, eigentlich nicht. Warum soll man mir Komplimente machen? Meinen Freunden ist es eh alles egal, sie interessiert das alles gar nicht. Das schätze ich sehr an ihnen. Ich komme auch nicht wirklich damit klar, wenn mir jemand sagt, ich sei eine prominente Persönlichkeit oder ähnliches. Ich bin einfach nur ich. Ich wohne in einem Studentenwohnheim, habe kein glamouröses Leben. Wo es eher diese Art von Reaktionen gibt, ist, wenn ich Vorträge über Essstörungen und das ganze Modelbusiness an Schulen halte. Ich möchte Aufklärung leisten, damit junge Mädchen merken, dass sie gut sind, wie sie sind und nicht anders sein müssen.
War es früher, als du mit dem Modeln angefangen hast, anders?
Ja, es war auf jeden Fall anders. Die Frage ist auch, warum man überhaupt mit dem Modeln anfängt. Warum tut man sich das freiwillig an, dass man sich von fremden Menschen nur auf sein Aussehen beschränken lässt?
Warum hast du das gemacht?
Weil ich nach Anerkennung gesucht habe. Weil ich selbst mit mir nicht klargekommen bin, mich selbst nicht leiden konnte. Ich habe mich unwohl gefühlt und hatte Minderwertigkeitskomplexe. Das war für mich eine Möglichkeit, mir meine Bestätigung zu holen.
Aber gerade wenn man Komplexe hat, geht man doch erst recht nicht in dieses Business, wo alles aufs Äußere reduziert wird.
Wenn man es sich genau überlegt, dann ist Modeln eigentlich ein echt blöder Job. Man hat keine Zukunftsperspektive, die Karriere der meisten Models ist auf fünf bis maximal zehn Jahre beschränkt. Man hat keine Krankenversicherung, keine festen Arbeitszeiten. Man hat oft große Schulden bei der Agentur, weil sie alles vorfinanziert und das irgendwann alles zurückhaben will. Und trotzdem hat dieser Job dieses unglaubliche Prestige. Bei jedem anderen Beruf würde man mit diesen Vorzeichen abwinken. Beim Modeln nicht. Als ich damals meine ersten semiprofessionellen Bilder gemacht habe, kamen gleich Kommentare wie »Oh, wie schön« und »oh, wie toll«. Da kommt auf einmal so viel Bestätigung von Außen, so viele sagen einem plötzlich, wie toll man ist. Auf der anderen Seite gibt es diese ganzen Demütigungen von dem Modelbusiness. Da sagen einem irgendwelche Leute, man sei zu dick und dass etwas nicht passe. Viele denken aber, dass dies der Preis dafür sei, um den ganzen Glamour zu erleben.
Gibt es auch negative Kommentare nach dem Motto »Was? Du bist Model?«
Im Straight-Size-Bereich war das viel krasser. Jetzt im Plus-Size wühlt es die Menschen eher mehr auf. Die können nicht nachvollziehen, dass Plus-Size bereits bei Kleidergröße 38 beginnt. Dann sind die Menschen so entsetzt und regen sich plötzlich so über das Modelbusiness auf, dass man selten negative Kommentare bekommt. Man wird von vielen als eine Art »Vorreiter« wahrgenommen, weil man als Plus-Size-Model etwas ändert und eine andere Möglichkeit auszusehen zeigt. Seit ich die Entscheidung getroffen habe, mit dem Modeln ganz aufzuhören, sagen Menschen in meinem Umfeld sogar, dass es gut für mich sei und sich für mich freuen.
Du warst schon mit 15 Jahren bei einer Agentur unter Vertrag?
Als ich 15 Jahre alt war, wollte mich eine Agentur unter Vertrag nehmen. Interessanterweise ist es dieselbe Agentur, bei der ich jetzt als Plus-Size-Model bin. Sie wollten damals, dass ich abnehme, weil ich für sie zu dick war. Schaut man sich die Bilder von damals an, dann war ich körperlich einfach nur ein gesundes junges Mädchen gewesen, mit einem schlanken Körper. Aber fürs Modelbusiness war das nicht schlank genug. Wenn man in diesem Alter hört, man müsse abnehmen, verändert es etwas in einem.
Wie hat es dich verändert?
Es hat mich kaputt gemacht. Ich bin in die Bulimie gerutscht. Ich habe angefangen zu trainieren, habe einen Trainingsplan bekommen. Auf einmal gab es verbotene Lebensmittel. Ich war die einzige in meiner Klasse, die Diät gemacht hat. Wenn man heute meine damaligen Mitschüler fragt, was sie am meisten von mir in Erinnerung behalten haben, dann ist es bestimmt, dass ich immer Diät gemacht habe. Und ich habe sämtliche Diäten ausprobiert. So bin ich nach und nach in die Essstörung reingerutscht. Mein Wunschgewicht mit einer Körpergröße von 1,83 m war immer 59 Kilo. Ich habe nur daran gedacht, dass erst wenn ich 59 Kilo wiege, mich die Leute mögen werden und ich dann ein wertvoller Mensch wäre. Dieser Gedanke hat mein Leben bestimmt.
Wer hat dir aus dieser schwierigen Zeit geholfen?
Natürlich war meine Familie immer für mich da. Die Liebe meiner Familie und die Therapie haben mir sehr geholfen. Und ein Buch: »Die Frau, die im Mondlicht aß«. Das war so etwas wie eine Bibel für mich. Das Buch setzt sich auf eine ganz besondere Weise mit der Thematik der Essstörung auseinander. Aber obwohl ich in Therapie war, wollte ich zu Germany‘s Next Topmodel.
Hast du dich gleich beworben?
Ich habe mich sogar gleich für die erste Staffel beworben. Aber das war so amateurhaft und schlecht, dass es klar war, dass sie mich nicht nehmen würden. Ich dachte damals, das wäre meine große Chance. Zwischenzeitlich habe ich aufgrund der Essstörung und wegen der Fressanfälle viel zugenommen und für die Show wieder 15-16 Kilo abgenommen. Ich habe mich nur von Hühnchen und Magerkost ernährt und habe trainiert wie eine Verrückte. Nachdem ich in der Show war, war das aber immer noch nicht genug. Es hätten immer noch acht Kilo runtergemusst. Wenn man sich die Bilder aus der Zeit heute anguckt, dann war ich schlank. Hätte ich noch mehr abgenommen, wäre ich mager geworden. Ich bin damals ohne Begründung rausgeflogen und bin wieder in ein Loch gefallen. Ich wollte weiterhin Model werden, war aber den Agenturen zu dick. Dank eines Gesprächs mit meiner besten Freundin, die gesagt hat, dass ich mich so nur kaputtmache, habe ich den Plus-Size-Bereich entdeckt. Damals dachte ich, dort gebe es nur Kolosse mit riesigen Kleidersäcken. Doch ich habe mich informiert und gemerkt, dass es einfach schöne Frauen mit Kurven sind.
Du wolltest trotz der Erfahrungen, die du im Modelbusiness gemacht hast, dorthin zurück?
Naja, ich war ja nie wirklich raus. Aber jetzt stand ich als Plus-Size-Model bei denselben Agenturen vor denselben Agenten, die mir vor kurzem noch gesagt haben, ich sei zu fett, und jetzt sagten sie, ich hätte einen perfekten Körper. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Man muss jedoch zugeben, dass es auch im Plus-Size-Bereich nicht viel anders läuft als im Straight-Size. Auch dort haben Models ähnliche Probleme, auch da kämpfen sie mit Esstörungen. Nur reden sie nicht darüber.
Wieso redest du darüber?
Weil ich es wichtig finde. Und weil ich es kann. Ich habe heute genug Abstand zu dem Geschäft. Wenn ich zurückdenke, ich hätte mir als 15-Jährige gewünscht, dass es jemanden gegeben hätte, der darüber redet und aus eigener Erfahrung berichtet. Ich habe das Bedürfnis, jungen Mädchen zu helfen, dass sie sich selbst annehmen und sich lieben. Ich weiß, wie schwer das sein kann. Modeln ist nicht so wichtig, wie es viele denken. Aussehen ist nicht die Welt. Es gibt Wichtigeres.