Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut
Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut
Arbeitsplatz 4.0: Die Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitsprozesse wird in den nächsten Jahren viele Arbeitsplätze massiv verändern.
Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, baden-württembergische Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau hat im Interview mit MORITZ-Redakteurin Helen Gerstner erklärt, was sich verändern wird und wie sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestmöglich auf die neuen Arbeitsbedingungen vorbereiten können.
Durch die Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitsprozesse werden viele Arbeitsplätze massiv verändert. Werden infolge der Veränderungen genügend neue Tätigkeitsfelder entstehen, die im Saldo die Verluste an Arbeitsplätzen ausgleichen?
Ich glaube, wir brauchen uns nicht zu große Sorgen machen. In der Vergangenheit hat technologischer Fortschritt bei uns nie zu Massenarbeitslosigkeit geführt, sondern zu mehr Effizienz und Produktivität. Das wird so bleiben, auch wenn dann noch mehr Roboter in der Industrie im Einsatz sind. Höhere Produktivität stärkt den Standort und sichert Arbeitsplätze. Außerdem programmieren sich neue Software-Anwendungen ja nicht von selbst und auch Roboter muss irgendwer bauen. Dass trotz bei uns unterm Strich keine Arbeitsplätze verlorengehen, zeigen die Arbeitsmarktzahlen: Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 25 Jahren. Und die Prognosen für 2018 sind auch bestens.
Alle Branchen sind von der Digitalisierung betroffen
Welche Branchen sind besonders stark von den technologischen Veränderungen betroffen?
Alle! Das verarbeitende Gewerbe genauso wie das Handwerk, Handel oder Finanzdienstleister. Produkte werden sich verändern, genauso wie Dienstleistungen. Und Online-Plattformen wiederum führen zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, denken Sie nur mal an AirBnB, Uber, Car2Go oder ähnliches. Oft sind es Start-ups, die als innovative Wettbewerber den etablierten Unternehmen Beine machen. Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Unternehmen aus Baden-Württemberg sich ein großes Stück von diesem weltweiten Kuchen digitaler Innovationen abschneiden! Um das zu schaffen, darf man die Digitalisierung nicht nur als eine kleine Verbesserung von Geschäftsprozessen begreifen. Sondern man muss begreifen, dass dadurch strategisch ganz neue digitale Innovationen und völlig neue Geschäftsmodelle entstehen können, die vor Jahren noch undenkbar waren.
Viele Unternehmen spüren, dass sich die Welt um sie herum dramatisch ändert. Haben deutsche Firmen die Zeichen der Zeit erkannt? Oder gibt es Branchen die besonders hinterherhinken?
Deutschland, zumal Baden-Württemberg, befindet sich in einer guten wirtschaftlichen Lage. Wir sind bei der Digitalisierung der Wirtschaft schon weit vorangekommen. Aber mehr geht natürlich immer. Unsere Maschinenbauer gelten als die Fabrikausrüster der Welt. Einige Unternehmen sind digitale Vorreiter und führend beim Thema Industrie-4.0. Andere bewegen sich eher im „digitalen Mittelfeld“. Und gerade kleinere Unternehmen sind oft noch zögerlich und zählen eher zu den „digitalen Neulingen“. Baden-Württembergs künftige Stärke hängt aber entscheidend davon ab, dass Unternehmen aller Branchen die Chancen der Digitalisierung erkennen und nutzen.
Wie bereite ich mich als Arbeitnehmer auf die neuen Arbeitsbedingungen vor?
Die beste Vorbereitung auf jede berufliche Herausforderung ist immer eine gute Ausbildung und die Bereitschaft, sich ständig weiterzubilden. Lebenslanges Lernen ist ja nicht nur so ein Schlagwort. Es ist ja nicht so, dass Veränderungen immer von heute auf morgen kommen – es geht eigentlich immer um Prozesse, auf die man sich über längere Zeit gut einstellen kann.
In welcher Form hat die Digitalisierung Auswirkungen auf kleinere Betriebe?
Digitalisierung heißt, dass man zum einen Betriebsabläufe viel effizienter gestalten kann, weil die Maschinen miteinander kommunizieren und sich sagen, was sie so brauchen oder ob in nächster Zeit vielleicht eine Wartung gut wäre. Mithilfe der Digitalisierung kann man aber auch neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Dafür müssen Betriebe sich aber mit dem Thema Datensicherheit befassen und qualifizierte Fachkräfte finden. Nicht nur in der Industrie, sondern gerade auch im Dienstleistungsbereich und im Handwerk bieten sich durch digitale Lösungen neue Chancen gerade auch für kleinere Unternehmen. Weil man zum Beispiel viel individueller auf Kundenwünsche eingehen kann. Eine der großen Stärken kleinerer Unternehmen ist ja ihre Flexibilität. Die kann durch die Digitalisierung noch erhöht werden.
Vereinbarkeit von Beruf, Freizeit und Familie
Welche Chancen bietet diese Veränderung und welche negativen Auswirkungen werden Beschäftigte zu spüren bekommen?
Wenn Arbeitszeit und Arbeitsort flexibler werden und man z.B. von zu Hause etwas erledigen kann mit Laptop und Smartphone, kann das die Vereinbarkeit von Beruf, Freizeit und Familie verbessern. Davon profitieren heute schon viele. Auch für Menschen mit Behinderung sehe ich bessere und leichtere Chancen, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wir müssen aber aufpassen, dass vor allem Ältere nicht abgehängt werden, sondern auch teilhaben an den Gewinnen der Digitalisierung. Arbeits- und Berufsprofile, auch Arbeitsabläufe werden sich ändern. Das ist aber nicht negativ.
Die digitale Transformation stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen. Es entstehen neue Stellenprofile, für die es im Moment nicht genügend qualifizierte Kräfte gibt. Wie wird dem entgegengewirkt?
Ja, das stimmt. Es entstehen neue Berufsbilder. Das war aber früher auch der Fall, als immer mehr Berufe im IT-Bereich entstanden oder sich das Berufsbild des Mechatronikers entwickelte. Das sind ja immer fließende Prozesse. Entscheidend ist es, dass Unternehmen, Kammern und Verbände zusammen mit der Politik auf diese Veränderungen früh reagieren und Studiengänge und Ausbildungsordnungen anpassen, und auch die praktische Lehre in den Berufsschulen die neuen Entwicklungen aufgreift. Auch die Weiterbildung muss gestärkt werden. Zusätzlich sollten wir aber auch gut ausgebildete Fachkräfte nach Baden-Württemberg holen.
Was muss Baden-Württemberg tun, um gestärkt aus den Transformationsprozessen die die Digitalisierung und Industrie 4.0 mit sich bringen, hervorzugehen?
Ich habe die ‚Initiative Wirtschaft 4.0 Baden-Württemberg‘ gegründet, damit wir die Wirtschaft bei einer erfolgreichen Digitalisierung ihres Geschäfts unterstützen können. Egal ob im Handwerk, im Handel oder in der Industrie. Wir fördern Start-ups durch bessere Finanzierungsangebote genauso wie „digitalen Neulinge“, denen wir etwa Digitallotsen zur Seite stellen. Für kleinere Unternehmen haben wir uns eine Digitalisierungsprämie ausgedacht, die konkrete Digitalisierungsschritte finanzieren hilft. Das war zunächst ein Modellversuch, aber ich bin zuversichtlich, dass wir die Prämie im neuen Jahr als reguläres Förderprogramm auflegen können. Was machen wir noch? Wir bringen die Digitalisierung in die Fläche des Landes. Die Musik spielt ja nicht nur in Stuttgart, Mannheim oder Karlsruhe. Deshalb fördern wir die Einrichtung regionaler ‚Digital Hubs‘ – also regionaler Digitalisierungszentren. Und noch einiges mehr.