Otto Geisel, Publizist und Gründer des Münchner Instituts für Lebensmittelkultur, ist der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) ganz besonders verbunden: In den 2000ern rief er gemeinsam mit der heutigen Rektorin der DHBW Heilbronn Prof. Dr. Nicole Graf den deutschlandweit einzigartigen Studiengang BWL-Food Management ins Leben, vor drei Jahren wurde ihm dafür die Ehrensenatorenwürde verliehen. Inzwischen ist hier auch der erste praxisintegrierende Studiengang im Weinbau, Wein – Technologie – Management (WTM) – angesiedelt. Jetzt sollen die Studierenden dabei helfen, den renommierten Gault&Millau Weinführer zu verjüngen. Seit 2001 ist Geisel als Experte im Bereich der Weinverkostung und -bewertung für den Gault&Millau tätig, seit letztem Jahr als Leiter des Experten-Beirats. Seine Idee war es, die Wein-Jury um 18 Studierende der DHBW Heilbronn zu erweitern.
Jüngere Verkoster für eine jüngere Zielgruppe
»Von den jungen Verkoster-Teams versprechen wir uns frischen Wind, die Jury soll heterogener werden, jünger, da auch die Zielgruppen jünger werden«, so Geisel. Seit letztem Jahr hat Hubert Burda Media die Lizenz für den internationalen Restaurant- und Wein-Guide Gault&Millau übernommen und will diesen moderner und hybrider gestalten: Die Guides werden klassisch wie bislang als Print-Produkte veröffentlicht, zusätzlich sollen digitale und soziale Kanäle bedient werden.
Blindverkostung von 800 Weinen
Die Gault&Millau-Stammbesetzung verkostete gemeinsam mit weiteren Gast-Tester*innen, wie Winzer*innen, Sommeliers, Journalist*innen und Studierenden insgesamt 800 Weiß-, Rot- und Schaumweine an drei Tagen im DHBW Sensoricum, dem Laborzentrum der DHBW Heilbronn. »Man muss kein perfekt geschulter Profi sein, sondern sollte vielmehr die Bereitschaft
mitbringen, mit allen Sinnen und unvoreingenommen das Produkt Wein zu erfahren«, erklärt Geisel die Anforderungen an die Gast-Juror*innen. Und weiter: »Für Genuss gibt es keine mathematische Formel, es ist wichtiger alle Teile der Gesellschaft teilhaben zu lassen und damit eine Demokratisierung des Geschmacks zu erreichen.« Gerade bei den WTM-Studierenden sieht er diese Voraussetzungen erfüllt: »Die Student*innen sind sowohl sensorisch als auch durch korrespondierende Themen wie Food Pairing besonders für das Tasting qualifiziert.« Beim Food Pairing geht es um die wissenschaftliche Unteruchung, welche Lebensmittel aufgrund ihrer Aromen geschmacklich zusammenpassen. Bei der Blindverkostung werden die Weine mit allen Sinnen erlebt, analysiert, verkostet und bewertet. Dabei wissen die Jury-Mitglieder nicht, welchen Wein sie gerade probieren, um sich nicht in ihrem Urteil beeinflussen zu lassen. Vielmehr sind der Geschmack, die Aromen, die Textur, die Balance und Harmonie des Weins die wichtigsten Kriterien für die Jury. Und wie schaffen es die Tester*innen, der Vielzahl an Weinen gerecht zu werden? »Die Dramaturgie der Flights spielt eine wesentliche Rolle, von leicht zu kräftig, von trocken zu süß, von weiß zu rot«, weiß Otto Geisel. »Die Anordnung entspricht dem klassischen Menüaufbau.«
Der neue Wein-Guide soll noch in diesem Frühjahr erscheinen, darin wird jedes Anbaugebiet mit einem Porträt vorgestellt, außerdem auch die Hauptrebsorten wie Silvaner in Franken, Gutedel in Baden oder Trollinger in Württemberg. Die Weingüter selbst mit ihren jeweiligen Weinen werden beschrieben und bewertet, sowie die besten Weine unter 10 Euro. »Neu ist, dass es zu jedem Anbaubereich zusätzlich Einkaufs-, Restaurant- und Hotel-Tipps geben wird«, verrät Otto Geisel.
Weinbranche muss nachhaltiger werden
Für die Zukunft der Weinbranche sieht Otto Geisel neben den Aromen und dem Geschmack eines Weines noch ganz andere Faktoren: »Der Klimawandel, aber auch die immer größere Nachfrage von Konsument*innen nach biologisch hergestellten Produkten werden die Weinbranche verändern«, ist der Weinexperte überzeugt. Den stetig höheren Alkoholgraden, verursacht durch den Klimawandel, müsse in diesem Zusammenhang entgegengewirkt werden, zum Beispiel mit Methoden wie dem »dry farming«. Beim ‚dry farming‘ (Trockenfeldbau) geht es darum, den Boden durch regelmäßige Brachejahre ohne künstliche Bewässerung zu bewirtschaften. Auch die Biodiversität und der biologische Anbau seien für Winzer längst kein »nice to have«-Aspekt mehr. Zugleich müssten jedoch die Konsument*innen bereit sein, das handwerkliche Können der Winzer*innen wertzuschätzen: »Wein muss einen gerechten Preis erzielen.«