Für die September-Ausgabe hat MORITZ bei Göppingens Oberbürgermeister Alex Maier (Bündnis 90/Die Grünen) vorbeigeschaut. Der 31-Jährige ist der jüngste amtierende OB Deutschlands und kämpft für eine tolerante Gesellschaft. Mit Redaktionsleiter Dr. Riccardo Terrasi hat er über seine Heimatstadt, seine Pläne und Überzeugungen gesprochen.
Herr Maier, bei Ihrer Wahl zum Oberbürgermeister von Göppingen im Januar 2021 wurden Sie mit ihren damals 29 Jahren zum jüngsten Oberbürgermeister Deutschlands. Gab es deswegen Vorbehalte?
Die Wahl war natürlich eine Riesenehre für mich. Ich weiß nicht, ob man sich vorstellen kann, wie es ist so ein Amt in seiner Heimatstadt ausüben zu dürfen. Dass die Leute mir das Vertrauen schenken, obwohl ich so jung bin, das ist natürlich eine große Verantwortung aber zugleich auch eine große Ehre. Das Alter hat aber im Wahlkampf keine so große Rolle gespielt, wie man es vielleicht vermuten könnte. Da ging es eher um Inhalte. Vorbehalte habe ich schon gehört, aber die gibt es, glaube ich, immer.
Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Durch die Bundestagswahl 2009. Ich war damals 18 und durfte zum ersten Mal wählen. Ich habe mich über die Wahlprogramme informiert, sie gelesen, und dann gleich eins gefunden, das mich sehr angesprochen hat – und ich bin dann ziemlich schnell Mitglied bei den Grünen geworden. Ich bin bis heute überzeugt, dass politisches Interesse mit der Beteiligungsmöglichkeit kommt. Deshalb bin ich ein großer Fan davon, dass das Wahlalter auch bei der Landtagswahl auf 16 Jahre abgesenkt werden soll. Ich glaube, sobald junge Menschen die Gelegenheit haben mitzubestimmen, fällt es ihnen leichter, sich auch zu informieren. Denn warum soll ich mich informieren oder engagieren oder mitdiskutieren bei einer Sache, wo ich selbst nicht wirklich entscheiden darf?
Warum haben Sie sich für die Grünen entschieden?
Das wichtigste Thema bei den Grünen war für mich das Streben nach einer offenen Gesellschaft und Toleranz. Das hat mich eigentlich sofort überzeugt. Jeder soll leben, wie er will, solange er damit keinem anderen schadet. Dieser Konnex zwischen Toleranz, Solidarität, aber auch Eigenverantwortung, eigener Freiheit – das war bei den Grünen, fand ich, deutlich besser ausgewogen als bei allen anderen Parteien.
Apropos offene Gesellschaft: Sie haben vor zehn Jahren den Verein »Göppingen Nazifrei« gegründet. Was macht dieser Verein?
Der Verein hat sich damals als Reaktion auf die Neonazi-Aufmärsche in Göppingen gegründet. Es gab für mich eine Art Schlüsselerlebnis: Da war eine von diesen Kundgebungen vor dem Rathaus, vielleicht 20 Leute oder so, und anschließend gabe es ein großes Bild in der Zeitung mit der Überschrift »20 Neonazis demonstrieren« oder so ähnlich. Und ich dachte mir: So eine Überschrift will ich in der Zeitung nicht sehen. Zwar kann man diese Demos nicht einfach so verhindern oder verbieten. Aber mein Ziel war wenigstens eine Schlagzeile zu lesen: »20 Neonazis demonstrieren, aber 500 Friedliche Gegendemonstranten gehen auf die Straße.« Wir haben mit dem Verein also Gegendemos organisiert und viel Aufklärungsarbeit betrieben. Also Flyer verteilt und über rechtsextreme Aktivitäten im Landgreis informiert. Der Zweck des Vereins ist leider immer noch vorhanden und deshalb wird es ihn wohl noch weiterhin geben.
Warum ist der Kampf gegen rechts so wichtig für Sie?
Der Rechtsextremismus greift im Endeffekt alles an, was gut ist in diesem Land. Alles, was dieses Land auch ausmacht, die Vielfalt, die uns alle reicher macht – und zwar auch im wahrsten Sinne des Wortes, also monetär. Denn der Wohlstand in Deutschland baut auf Vielfalt auf. Der baut darauf auf, dass man sich international vernetzt, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern hierherkommen. Wenn ich das angreife, dann schlage ich die Axt in die Wurzel unseres Wohlstands und unseres ganzen demokratischen rechtsstaatlichen Systems. Deshalb ist der Rechtsextremismus meiner Meinung nach die Bedrohung für die freiheitlich demokratische Grundordnung schlechthin.
Wenn sie als Göppinger an Ihre Heimatstadt denken: Was zeichnet sie in ihren Augen aus?
Positiv ist auf jeden Fall: Wir haben eine Stadt, wo man innerhalb von zehn Minuten immer im Grünen sein kann und die trotzdem von der Lage her als Mittelzentrum zwischen Stuttgart und Ulm perfekt liegt. Wir sind eine klassische Industriestadt, mit allem, was daran gut und schlecht ist. Wir haben starke Firmen, wir haben eine starke Substanz. Die Leute hier sind Schaffer, sie sind fleißig und direkt. Wir haben auch ein unheimlich aktives ehrenamtliches Engagement. Ich weiß, das haben viele Städte. Aber allein diese Vielfalt an Veranstaltungen: Man kommt hier im Sommer nicht durch die Stadt, ohne dass nicht irgendein Fest oder eine andere Veranstaltung stattfindet. Was ich persönlich etwas negativ finde ist, dass man diese positiven Dinge oft nicht so wahrnimmt. Also ich würde mir wünschen, dass die Leute manchmal öfter sehen würden, wie gut es hier eigentlich ist.
Was die Menschen derzeit bewegt, nicht nur in Göppingen, sondern in ganz Deutschland, sind die gedrosselten Gaszufuhren aus Russland. Was wird in Göppingen unternommen, um bevorstehende Gasengpässe bewältigen zu können?
Wir haben relativ früh einen Krisenstab eingerichtet und sind gerade dabei, ein Maßnahmenpaket zu schnüren, in verschiedenen Bereichen. Das eine betrifft natürlich das Energiesparen. Wir müssen jetzt die Speicher für den Winter voll bekommen und natürlich auch im Winter weitersparen, sonst reicht es unter Umständen nicht. Wir gucken natürlich: Was passiert, wenn wirklich irgendwo die Energiezufuhr abgeschaltet werden muss? Wir haben jetzt eine Liste von Gebäuden, die wir als Wärmehallen nutzen können. Was total irre ist, dass man sich 2022 über so etwas Gedanken machen muss. Aber wir müssen auf den Worst Case vorbereitet sein, auch wenn es hoffentlich nicht so schlimm kommt. Wir überlegen außerdem, wie wir die Bürgerinnen und Bürger entlasten können, weil natürlich durch die gestiegenen Preise plus Inflation im Moment alle knapp bei Kasse sind. Und das trifft wie immer natürlich die am meisten, die eh am wenigsten haben. Wir versuchen auch als Stadt Unterstützung zu leisten, da vom Bund bisher noch nicht viele Signale kamen.
Stichwort Klimawandel: Was wird in Göppingen unternommen, im Kampf gegen den Klimawandel, aber auch gegen die Klimafolgeschäden?
Wir arbeiten gerade – natürlich neben dem Thema Energie – am Themenkomplex Mobilität. Wir müssen den Individualverkehr reduzieren. Wir können nicht so weitermachen und nur aufs Auto ausgelegt sein. Wir müssen ein Miteinander von verschiedenen Verkehrsmitteln erreichen. Und da gehören Fußgänger, Radfahrer usw. auch dazu. Wir sind gerade dabei, ein ganzheitliches Verkehrskonzept zu erstellen. Also sprich: Einen stärkeren ÖPNV, eine bessere Taktung. Ich hoffe auf den Bund, dass auch nach dem Neun-Euro-Ticket etwas an der Preisstruktur geändert wird. Aber da bin ich ganz guter Dinge.
Neben der Mobilität ist natürlich das Bauen ein großes Thema. Wir müssen heute definitiv anders bauen, als man es vor ein paar Jahren noch getan hat. Wir müssen auch energetisch sanieren, das machen wir zum Beispiel an unseren Schulen – die werden ja häufig saniert, beispielsweise wegen neuer Brandschutzerfordernisse. Und wir wollen jetzt dazu übergehen, dass wir nicht einfach nur eine Brandschutzsanierung machen, sondern kombiniert mit einer energetischen Sanierung. Teilweise sind die Gebäude über 100 Jahre alt und Energieschleudern. Da können wir noch viel verbessern.
Wir haben gerade viele Themen offen, aber irgendwann würde ich mir auch wünschen, noch mehr Grün in die Stadt zu holen. Das wirkt sich gerade in den heißen Sommermonaten extrem positiv aus: Jeder Baum ist wie eine kleine Klimaanlage. Das merkt man, wenn man hier vom Marktplatz ein paar Meter in die Oberhofenanlage läuft, da ist es direkt drei Grad kühler. Dort stehen große, alte Platanen, und wenn ich im Sommer darunter sitze, ist es dort immer erträglich. Im Endeffekt muss ein Begrünungsprogramm her. Also das, was man früher zubetoniert hat, wieder entsiegeln und dort wirklich Grün in die Stadt bringen – das wird ein längerfristiges Ziel sein.
Vom 9. Bis 11. September findet wieder das Göppinger Stadtfest statt. Was bedeutet dieses Event für die Stadt?
Das Stadtfest hat sich, wie ich finde, in den letzten Jahren wahnsinnig gut entwickelt, weil es viel offener geworden ist. Wir haben das Kleinkunstfestival dabei, wo überall Straßenkünstler unterwegs sind – man kann an jeder Ecke was sehen und bekommt überall was geboten. Das Stadtfest zeichnet sich auch dadurch aus, dass es von Göppinger Vereinen gemacht wird. An jedem Stand, an jeder Ecke steht irgend ein Göppinger oder eine Göppingerin dahinter, und das ist natürlich extrem viel wert, denn wenn man als Göppinger über das Fest läuft, kennt man fast jeden. Und so klein ist die Stadt mit ihren 60.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ja nicht. Aber beim Stadtfest ist es irgendwie echt so: Fast an jedem Stand kennt man jemanden. Das hat einen unheimlichen Charme. Außerdem sieht man dabei, wie schön die Innenstadt tatsächlich sein kann. Wir haben keine mittelalterliche Altstadt wie andere. Aber es ist trotzdem schön hier. Und wenn man durch die klassizistischen Straßen geht und dabei feiert und Musik an jeder Ecke hört, ist das super. Ich freue mich sehr auf das Fest. Und ich wohne ja in der Kirchstraße, bin also Tag und Nacht direkt auf dem Stadtfestgelände – das ist sensationell, das liebe ich.
Was haben Sie sich in den kommenden Jahren für Göppingen vorgenommen?
Zum einen wäre da ein stückweiter Umbau der Verwaltung, um sie ein bisschen innovationsfähiger werden zu lassen. Das ist ein größeres Unterfangen, aber wir sind ganz gut dabei. Und wenn es läuft und umgesetzt wird, wird es mit einer Effizientsteigerung einhergehen, die die Bürgerinnen und Bürger idealerweise auch bemerken werden.
Was mir auch sehr wichtig ist, ist die Neugestaltung des Boehringer-Areals, die alte Industriefläche, direkt gegenüber von Märklin. Wir wollen dort endlich ein bisschen Schwung reinbringen, als Innovations- und Gründerzentrum, aber auch als Kulturstätte mit Aufenthaltsqualität. Das sind alles wunderschöne, teils denkmalgeschützte Industriehallen, die einen ganz besonderen Charme haben und die einfach zur Identifikation mit Göppingen wichtig sind. Das hat ein Riesenpotential.
Göppingens Rathaus mit dem »Beach-Platz«