Pascal Müller (34) ist seit 2002 Schiedsrichter und wird nun in der fünften Saison in Folge als VAR-Spezialist im Video Assist Center (»Kölner Keller«) der Fußball Bundesliga tätig sein. Mit inzwischen 171 Spielen ist er der jüngste aber gleichzeitig auch einer der erfahrensten VAR-Spezialisten im »Kölner Keller«. Seit 2022 ist er auch bei Uefa-Spielen im Einsatz, darunter Champions League Qualifikationen und EM-Qualifikationsspiele.
Der Start der neuen Bundesliga-Saison steht an, wie sieht die Vorbereitung aus? Wir sind ein großes Team von 24 Bundesliga-Schiris und acht VAR-Spezialisten und haben unser Trainingslager im HomeGround in Herzogenaurach. Dort wird dann auf die neue Saison eingestimmt und es werden Neuerungen besprochen. Es wird zur neuen Saison keine Regeländerungen geben, höchstens Details, die sich verändern. Es gibt immer Anpassungen oder Auslegungsthemen, die wir dann dort besprechen.
Ist es als Schiedsrichter auf dem Platz oder als VAR im Kölner Keller anstrengender?
Es ist eine komplett unterschiedliche Belastung und deshalb kaum vergleichbar. Auf dem Platz läuft man bis zu zwölf Kilometer. Das ist eine starke physische Belastung. Als VAR ist die Belastung ausschließlich mental. Ich bin es inzwischen aber gewohnt und weiß, wo ich wann hinschauen muss. Es gehört vor allem ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen dazu. Ich muss den Kameraplan des jeweiligen Stadions kennen, wissen wo jede Kamera steht und ich muss wissen, welche Perspektive jetzt vermutlich die Beste ist, um die Szene aufzulösen. Außerdem arbeitet man als Video-Schiedsrichter im Team. Man hat einen Assistant Video Assistant und zwei Operatoren, von denen man die richtigen Perspektiven anfordern muss. In einem Topspiel der Bundesliga haben wir 36 Kameras. Wenn du dann nicht weißt, welche Perspektive du brauchst, dann dauert es ewig und dann heißt es wieder: »Die sind im Kölner Keller eingeschlafen.« Wenn wir aber zu schnell entscheiden, ohne alle Bilder gesehen zu haben, haut uns das Fernsehen fünf Minuten später die entscheidenden Bilder um die Ohren. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns bei jedem Spiel.
Was wird alles gecheckt und was sind die größten Schwierigkeiten, mit denen ihr konfrontiert werdet?
Die häufigsten Situationen, in denen der Videoschiedsrichter in Erscheinung tritt, sind Strafstöße. Aber man kann sich als Zuschauer immer darauf verlassen, dass wir Video-Schiedsrichter alles checken. Auch wenn man es im Fernsehen öfters noch anders hört und Reporter sagen, dass eine Situation nicht gecheckt worden wäre. Jedes Tor, jede Szene im Strafraum, jede potenzielle Rote Karte und jede potenzielle Spielerverwechslung wird gecheckt, egal ob der Schiedsrichter auf dem Feld pfeift oder nicht. Wir greifen immer ein, wenn die Entscheidung auf dem Platz „klar falsch“ war und das ist gleichzeitig auch die größte Schwierigkeit. Faktische Entscheidungen wie Abseits-Entscheidungen sind schwarz oder weiß. Ob ein Handspiel strafbar ist oder nicht, ist hingegen oftmals eine Grauzone, die jeder Schiedsrichter anders auslegen kann. Die Szenen in den Graubereichen richtig auszulegen, ist die größte Schwierigkeit.
Wird es in Zukunft technische Neuerungen geben?
Was kommen wird und jetzt schon bei der EM und in der Champions League eingesetzt wird, ist die Semi-automated Offside Technology, also halbautomatische Abseitslinien. Das heißt, dass das System mit zehn weiteren Kameras im Stadion plus einem Chip im Ball Millisekunden genau erkennt, wann der Ball gespielt wurde. Es erkennt pro Sekunde 28 Körperpunkte jedes Spieler auf dem Platz, um zu berechnen, welcher Spieler im Abseits steht. Wir arbeiten bisher mit einer kalibrierten Linie und erkennen das auch, aber durch die künstliche Intelligenz geht es noch viel schneller und noch genauer.
Was würdest Du gerne den Fans sagen, die Entscheidungen schwer nachvollziehen können und sich immer aufregen?
Es wird im Fußball nie „Perfektion“ geben. Die Kritik hat sich verlagert. Den Schiedsrichtern auf dem Platz wird zwischenzeitlich eher ein Fehler verziehen, weil alle sehen, wie schnell das Spiel geworden ist. Jetzt sind eher die Videoschiedsrichter in der Kritik und oft stimmt die Verhältnismäßigkeit einfach nicht. Bei 120 richtigen und fünf falschen Entscheidungen durch den Video-Schiedsrichter in der letzten Saison, werden nur die strittigen Szenen gesehen. Deshalb würde ich die Fans am liebsten in den Kölner Keller einladen und ihnen einfach mal zeigen, wie so ein Spiel aus Sicht des Video-Schiedsrichters abläuft. Das geht leider nicht, denn wir können nicht 80 Millionen Fans einladen (lacht). Es ist nicht so, dass wir dasitzen und uns das einfach machen, sondern wir geben unser Bestes. Alle, die bis jetzt bei uns waren, meistens eben Fußballexperten oder Journalisten, waren begeistert von unserer Arbeitsweise. Ich habe noch nie jemanden aus dem Keller verabschiedet, der gesagt hat »Oh Gott, was macht ihr eigentlich?«. Uneingeschränkt alle geben positives Feedback und sagen. »Unglaublich, das hätten wir uns nicht vorstellen können, was sie da alles machen«.
Gibt es Verbesserungen, die du dir bei dem System wünschen würdest, um noch präziser sein zu können?
Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es, dass man dieses »etwas ist klar falsch« besser definieren könnte. Kann man aber leider nicht. Es gibt das VAR-Protocol, das ist das Regelwerk für Video-Schiedsrichter, auf das man beim DFB und bei der UEFA auch getestet wird. Beim Durcharbeiten wird einem klar, dass es das seit 2019, also seit fünf Jahren gibt und es bisher noch keinerlei Änderungen bedurft hat. Das spricht eindeutig dafür, dass es sehr überlegt und äußerst kompetent erstellt worden ist. Die Ersteller haben an alles gedacht und es gibt nichts, wo ich sage: hier fehlt etwas.
Pascal Müller erläutert „die Arbeit der Video-Schiedsrichter“ in Impulsvorträgen und bringt diese seinen Zuhörern mit spannenden Bild- und Audiodateien aus der Fußball-Bundesliga näher.