Seit einer Initiative aus Hamburg wird bundesweit heiß über das so genannte »Containern« diskutiert. Ziel soll sein, das Herausfischen weggeworfener Lebensmittel aus den Müllcontainern nicht mehr länger unter Strafe zu stellen.
Containern gegen Lebensmittelverschwendung
Mitten in der Nacht wird hinter dem Supermarktgebäude plötzlich der Bewegungsmelder aktiv und die Leuchtstoffröhren springen an. Mehrere Gestalten steuern zielstrebig direkt die Müllcontainer an der Häuserwand an. Leise öffnen sie die Deckel, einer springt mit einem geübten Satz direkt in den Container und taucht ab. Mehrere Sekunden vergehen, dann taucht er wieder auf und reicht seinen Kameraden einen Kopfsalat und mehrere leicht beschädigte Paprikas. Wie konnten diese nur im Müll landen?
Das »Containern« beschreibt eine Bewegung, bei der vom Supermarkt aussortierte und weggeworfene Lebensmittel wieder aus dem Müll gefischt und weiter verwendet werden. Auf diese Weise sollen noch genießbare Lebensmittel, die aufgrund kleinerer Druckstellen oder abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum entsorgt wurden, »gerettet« werden, so die Argumentation der »Containerer«. Wer das tut, macht sich in Deutschland allerdings strafbar – eine Initiative aus Hamburg, das Containern zu legalisieren ist kürzlich gescheitert. Nicht zuletzt deshalb ist das Thema Lebensmittelverschwendung derzeit in ganz Deutschland ein Thema – auch in Heilbronn.
Lebensmittelverschwendung entsteht auch in Privathaushalten
»In Privathaushalten werden pro Kopf pro Jahr rund 84 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen«, erklärt Prof. Dr. Beate Scheubrein, Studiendekanin BWL-Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn (DHBW). »Das summiert sich ganz erheblich.« Unterschieden wird dabei zwischen unvermeidbaren Lebensmittelabfällen, zum Beispiel Teebeutel, Eierschalen oder Kaffeesatz und vermeidbaren Abfällen. »Letztere sind besonders bedauerlich. Die klassische Banane mit braunen Flecken ist nach wie vor genießbar und die Milch muss ein, zwei Tage nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht sofort weggeschmissen werden«, so Scheubrein, »da vertrauen viel zu wenige auf ihre eigenen Sinne und riechen einfach mal, ob das Produkt noch genießbar ist.«
Trotz des steigenden Bewusstseins um die Problematik wird das Thema Containern aber auch in Heilbronn eher zwiespältig betrachtet. Luise Trippler, FÖJ der BUNDjugend Baden-Württemberg beispielsweise bezeichnet das Containern als »einen guten Denkanstoß, um auf das Problem aufmerksam zu machen und das Bewusstsein über den Wert von Lebensmitteln sowohl in Privathaushalten als auch bei großen Ketten zu steigern.« Gleichzeitig könne das nächtliche Herausfischen von Lebensmittelabfällen aus dem Müllcontainern aber keine langfristige Lösung sein. Ein Standpunkt, den auch Prof. Dr. Beate Scheubrein teilt: »Ich verstehe den Beweggrund hinter dem Containern und finde ihn sehr löblich.« Allerdings rate sie unbedingt davon ab, Produkte aus dem Müll zu ziehen und zu verzehren. »Der Handel ist stark darauf bedacht, nur das wegzuwerfen, was unbedingt weggeworfen werden muss, da das Entsorgen für ihn mit erheblichen Mehrkosten verbunden ist. Entsorgt werden beispielsweise Produkte, bei denen die Kühlkette unterbrochen wurde. Diese Lebensmittel zu verzehren ist mit enormen gesundheitlichen Risiken verbunden.«
In Heilbronn und Umgebung hat man bereits ganz andere Lösungen gefunden...
Regal der Heilbronner Tafel
Während in der Politik diskutiert wird, ob das Containern bundesweit legalisiert werden sollte, wurde im Landkreis Heilbronn bereits eine andere Lösung gefunden, um der unnützen Verschwendung genießbarer Lebensmittel vorzubeugen: Sie sollen nämlich gar nicht erst im Container landen. Große Lebensmittelketten wie Lidl oder Edeka Ueltzhöfer spenden verzehrfähige und lebensmittelrechtlich unbedenkliche Ware direkt an die Tafeln. »Es geht uns darum, dass noch essbare Lebensmittel nicht abgeschrieben und weggeworfen werden«, berichtet Pressesprecherin von Lidl Deutschland Sonja Kling. Besonders groß sei dabei die Nachfrage nach lang haltbaren Lebensmitteln wie Mehl, Nudeln oder Konserven. »Die Warenmenge, die entsorgt werden muss, weil Produkte das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, ist bei uns sehr gering«, so Kling.
Jeden Tag steuern die Tafeln Heilbronn rund 100 Lebensmittelbetriebe an und holen die gespendeten Waren ab. Dabei wird qualitätstechnisch genauestens geprüft – nicht genießbare Ware wird direkt aussortiert. Anschließend werden die Lebensmittel an die rund 16 Ausgabestellen im Landkreis Heilbronn verteilt, die insgesamt ca. 12.000 bedürftige Menschen versorgen. Auf diese Weise werden täglich zwischen 10 und 15 Tonnen Lebensmittel gerettet, die andernfalls weggeworfen worden wären. Hauptsächlich stammen diese aus Überproduktionen, wurden falsch etikettiert oder die Verpackung war beschädigt. »Ich würde Heilbronn in dieser Hinsicht tatsächlich als positives Beispiel mit Vorbildfunktion sehen«, erklärt Matthias Weiler, Abteilungsleiter der Tafeln und Diakonieläden Heilbronn. »Containern spielt hier und in der Umgebung ehrlich gesagt keine große Rolle, weil die Produkte gar nicht erst in den Containern landen.«
Wert und Preis stehen nicht im Verhältnis zueinander
Trotzdem bleibt auch hier Lebensmittelverschwendung weiterhin ein großes Problem. »In Deutschland sehe ich vor allem, dass die Preise für die Lebensmittel nicht ihren Wert darstellen«, so Weiler. Die Folge sei, dass oft ohne Plan oder Bewusstsein eingekauft, produziert und dann eben auch zwangsläufig wieder weggeworfen werde. Warum die aktuelle Debatte um das Thema Lebensmittelverschwendung und Containern so wichtig ist, erklärt Prof. Dr. Beate Scheubrein: »Dazu müssen wir doch nur mal einen Blick nach draußen werfen. Die Überproduktion und Fehlnutzung in der Landwirtschaft hat erhebliche Auswirkungen auf den Klimawandel.« Im vergangenen Jahr habe es viel zu lange keinen Landregen gegeben. »Das ist ein überdeutliches Warnsignal.«
Auch in der Hinsicht soll Heilbronn zukünftig als Vorbild gelten. An der DHBW erarbeitet Scheubrein gemeinsam mit dem Studiengang Food Management ein Studienprojekt zum Thema Lebensmittelverschwendung. Dieses stützt sich auf eine aktuelle Studie, die herausfand, dass tendenziell besonders in jungen Haushalten überproportional viel weggeworfen wird. Die Studierenden der DHBW führen deshalb zwei Wochen lang Tagebuch und protokollieren, was bei ihnen pro Tag im Müll landet. »Wir sind noch dabei, die Ergebnisse auszuwerten, aber bereits jetzt lassen sich erste Tendenzen erkennen«, berichtet Scheubrein. So seien es im Schnitt vor allem junge Damen, die für einen Großteil der Lebensmittelabfälle verantwortlich sind. Junge Männer hingegen würden tendenziell eher weniger wegwerfen. Das habe aber auch seine Gründe: »Es ist natürlich noch zu früh, um definitive Aussagen zu treffen, aber in der Regel ist es so, dass junge Männer einfach weniger kochen und entsprechend auch weniger wegwerfen.« so Scheubrein. »Auch auf das Mindesthaltbarkeitsdatum wird unter Männern generell eher nicht geachtet. Das wird einfach noch aufgegessen.«
Zukunftsorientierte Lösungen sind wichtig
Aus Erkenntnissen wie diesen können zukünftig potentiell Pläne entwickelt werden, wie der hohen Lebensmittelverschwendung unter Verbrauchern vorgebeugt werden kann. Heilbronn will dabei auch weiterhin mit gutem Beispiel vorangehen. Mit Aktionen wie Foodsharing soll Verbrauchern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Lebensmittelreste nicht wegzuwerfen, sondern diese stattdessen mit anderen zu teilen. In frei zugänglichen Schränken und Regalen in Heilbronn und Umgebung können Privatpersonen Lebensmittel abgeben oder mitnehmen. Auch die Tafeln unterstützen diese Aktion: »Ob Foodsharing oder die Tafeln, wichtig ist, dass Lebensmittel in deutlich geordneteren Bahnen gerettet werden, als es beim Containern der Fall wäre«, findet Matthias Weiler. Beide Alternativen leben allerdings sowohl von der Bereitschaft der Verbraucher, bewusster mit Lebensmitteln umzugehen, als auch von dem Engagement ehrenamtlicher Helfer. »Die Tafeln im Heilbronner Landkreis werden zur Zeit von rund 280 Helfern rund um die Uhr unterstützt, die in den Läden arbeiten, Produkte abholen, prüfen und die großen Kisten schleppen«, erklärt Weiler. »Ohne diese Einsatzbereitschaft könnte der Laden hier nicht laufen.«
Was kann man im eigenen Haushalt tun, um möglichst wenig vermeidbare Lebensmittelabfälle zu produzieren?
Luise Trippler von der BUNDjugend Baden-Württemberg hat ein paar einfache Tipps: »Mach euch einen Plan vor dem Einkaufen, vertraut auf eure Instinkte und zeigt ein bisschen Kreativität beim Resteverwerten. So kann der Wert von Lebensmitteln wieder langsam in der Gesellschaft gesteigert werden.«