Das muss ihnen erst einmal jemand nachmachen. Auf der Suche nach einem dörflichen Domizil wurden Birgit und Horst Lohmeyer 2004 in Jamel fündig, einem idyllischen Flecken unweit von Wismar in Mecklenburg-Vorpommern. Hätten sie sich dort niedergelassen, wenn sie gewusst hätten, dass sie unter Rechtsextremen leben würden? 40 Einwohner:innen hat Jamel, erfährt man in der sehenswerten Doku “Jamel – Lauter Widerstand” (ARD-Mediathek): 38 Neonazis und das aus St. Pauli zugezogene Ehepaar Lohmeyer. Trotz aller Übergriffe – ihre denkmalgeschützte Scheune brannte 2015 nieder – blieben und bleiben die beiden unbeirrt in Jamel, mehr noch: sie initiierten 2007 auf ihrem Gelände das Musikfestival “Jamel rockt den Förster”, für viele das wichtigste Festival überhaupt in Deutschland. Zwei Tage im Jahr kommen die ganz Großen der Szene in das Dorf: Herbert Grönemeyer, die Fantastischen Vier, Die Ärzte und Die Toten Hosen haben hier gespielt und ihren Auftritt ganz bewusst als ein Statement gegen den Rechtsradikalismus verstanden.
Für ihr Engagement, ihren Mut und ihre Zivilcourage wurden Birgit und Horst Lohmeyer mehrfach ausgezeichnet. Wie mag ihr Alltag aussehen im “Nazidorf” Jamel? Darüber erfährt man in der Doku leider nichts. Nur am Rande wird die “Völkische Landnahme” erwähnt, also die Strategie von Neonazis, ganze Dörfer zu dominieren. Hand aufs Herz: Wer möchte in einer solchen Gemeinschaft leben? Wie viele Lohmeyers gibt es hierzulande? Die Rechtsextremen und ihre Vertreter:innen in den Parlamenten untergraben schleichend den Rechtsstaat. Ein Klassenfreund postete in unserer Gruppe ein Zitat von Adolf Hitler vom 02.02.1930. “Den größten Erfolg erzielten wir in Thüringen. Dort sind wir heute die wirklich ausschlaggebende Partei. Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen.” Fast ist es schon wieder so weit. Zar Putin, auf dessen Unterstützung die Populisten von rechts wie links bauen können, reibt sich die Hände. Seine Strategie der Destabilisierung trägt immer mehr Früchte.
Die aktuelle Situation in der EU dürfte ihm nicht weniger zupasskommen. Die beiden größten Staaten Frankreich und Deutschland sind in der Krise und mit sich selbst beschäftigt. Der französische Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz haben nie einen Draht zueinander gefunden, obwohl sie sich doch so ähneln. Beide Politiker sind bis zur Arroganz von sich selbst überzeugt, Selbstzweifel sind ihnen wesensfremd. Dabei durchlaufen ihre Länder gerade eine schwere Krise und reißen die EU mit. Während China, Amerika und Russland ihre Interessen mit allen Mitteln durchsetzen, taumeln die Europäer. Es gibt keine Strategie für die Zeit nach Biden, dem letzten und treuen Transatlantiker, im Gegenteil: der größte Wirtschaftsraum der Welt findet keine einheitlichen Positionen, nicht zuletzt durch die Erfolge der antieuropäisch eingestellten Populisten in vielen Mitgliedsstaaten. Es passt ins Bild, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache den Begriff „Ampel-Aus“ zum „Wort des Jahres“ 2024 gewählt hat.