Schwanensee als Streetdance-Spektakel

Foto: Torsten Rothe

Swan Lake Reloaded

Dunkle Gassen, heruntergekommene Hinterhöfe, Rotlichtmilieu, skrupellose Zuhälter, gebrochene und willenlose Huren, High-Society im Kokainrausch, ein unvermittelbarer Junggeselle umgeben von schlechten Freunden – nein, das ist kein Plot eines Hollywoodstreifens oder einer aktuellen Netflix-Serie. Das ist große Tanz-Kunst. Das ist Schwanensee. Ja, richtig, der vielleicht größte Ballettklassiker aller Zeiten, der von Ballettensembles rund um die Welt noch immer gespielt wird, ist im Heute angekommen. Der schwedische Star-Choreograph Fredrik Rydmann transportiert Tschaikowskys Meisterwerk in „Swan Lake Reloaded“ in die Neuzeit und schafft, so viel sei vorab verraten, einen Meilenstein aller Tanz-Shows, die zur Zeit um den Globus reisen. Das Spektakel packt die Besucher knapp anderthalb Stunden lang, fesselt sie an ihre Sitze und lässt sie nicht mehr los. Zauber trifft auf Kraft, Eleganz auf Tempo, Ballett auf Streetdance. Die Premiere am 12. Januar im Stuttgarter Theaterhaus hat Maßstäbe gesetzt.

Was im Original das Ufer des Sees ist, ist bei Rydmann das Rotlichtviertel einer Stadt. Der böse Zauberer Rotbart ist hier ein Zuhälter und Drogendealer, die Schwäne sind drogenabhängige Prostituierte, Prinz Siegfried der Sprössling einer High-Society-Familie, der sich gerne auch mal eine Line Koks durch die Nase zieht. Nicht gerade der Stoff, aus dem Märchen gemacht werden. Die Atmosphäre, die Rydmann in seiner Inszenierung auf die Bühne bringt, ist beklemmend und doch kann man sich als Zuschauer der Selbstzerstörung der gebrochenen Gestalten auf der Bühne nicht entziehen. Das alles wirkt verstörend und faszinierend zugleich.

Diesen Kontrast zeigt die musikalische Gestaltung des Stücks aufs Vortrefflichste. Tschaikowskys Klassik geht eine spannende und gelungene Symbiose mit Remixes und Electro-Sounds ein. Breakbeats, Jungle, Dubstep, Rap, Anflüge von Jazz, Pop-Musik, eigens für das Stück komponierte Songs und natürlich die klassischen Werke – all das fügt sich zu einem Gesamtbild, das in dieser Form einzigartig ist. So sind auch die Darsteller keine filigranen Balletttänzer, sondern hochversierte Streetdancer. Spitzentanz macht Platz für Breakdance.

Wenn man jemals den Begriff „generationenübergreifend“ gebraucht hat, dann passt dieser auf Swan Lake Reloaded wie die buchstäbliche Faust aufs Auge. Ballettfans, die wahrscheinlich noch nie Dubstep gehört haben, sitzen neben Jugendlichen, denen man an der Nasenspitze ansieht, dass sie sich zwar für Streetdance interessieren, aber Schwanensee höchstens mal aus dem Film „Black Swan“ mit Natalie Portman kennen. Eines eint sie alle: Bei der Premiere von Swan Lake Relaoded im Stuttgarter Theaterhaus waren sie alle aus dem Häuschen und verabschiedeten das Tanzensemble erst nach dem fünften Vorhang.

„Und, Oma, das war doch cool, oder?“, hörte man eine junge Besucherin nach der Show im Foyer eine ältere Dame fragen. „Entzückend, ganz und gar entzückend“, die Antwort. Das Aufeinanderprallen zweier scheinbarer Gegensätze hätte nicht besser inszeniert können.

GERMANY, Stuttgart - 12. JANUAR 2016 / Theaterhaus Stuttgart / SWAN LAKE RELOADED

Swan Lake Reloaded

SWAN LAKE RELOADED

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