Joris
Mit seinem Debütalbum »Hoffnungslos Hoffnungsvoll« kommt Joris am 14. November live in das Audi-Forum Neckarsulm. MORITZ-Redakteurin Helen Gerstner sprach vorab mit dem Chartstürmer über seine Musik.
Derzeit bist Du auf großer Tour. Wie ist dieser ganze Medienrummel für Dich? Anstrengend oder aufregend?
Das kann ich nicht nur in eine Richtung beantworten. Aber es ist tatsächlich so, dass ich unglaublich viel Spaß daran habe. Zwischendurch merke ich, dass ich seit Mai nicht mehr zu Hause war, sondern immer auf Tour bin, aber sobald man in der nächsten Stadt ankommt und das Konzerthaus erlebt und den Flair spürt, kommt sofort das Kribbeln im Bauch. Und spätestens, wenn es dann abends rausgeht, hat man wieder zu 100% richtig Bock darauf. Interviews zu geben finde ich eigentlich auch immer sehr schön, weil man über das reden darf, was man liebt.
Du wirst als der Newcomer des Jahres 2015 bezeichnet. Wie hast Du dich gefühlt, als Du das erste Mal davon gehört hast?
Ich finde das ein bisschen komisch. Es freut einen einerseits natürlich total, dass so viele Leute Interesse an meiner Musik haben. Aber auf der anderen Seite kenne ich genügend andere Bands, die gute Musik machen und das mindestens genauso erfolgreich wie ich. Ich finde das etwas schwer, Musik ist subjektiv. Ich mag es weder, wenn man sagt, dass etwas total schlecht ist, noch wenn man in die entgegengesetzte Richtung geht und mich zum Beispiel als Newcomer des Jahres 2015 bezeichnet. Ich gebe da nicht so viel drauf. Aber ich finde es natürlich toll, dass gerade so ein Interesse für meine Musik da ist.
Du hast gerade auch andere Künstler angesprochen. Mark Forster, Clueso und Bosse haben es vorgemacht - deutschsprachige Musik findet seinen Absatz und liegt derzeit im Trend wie nie zuvor. Ist das ein Punkt, von dem Du profitierst?
Ich werde tatsächlich ganz oft gefragt, warum deutsche Musik gerade so erfolgreich ist. Das kann ich nicht beantworten, ich habe mein ganzes Leben lang immer englische Musik gehört und geschrieben. Zwanzig Jahre lang mache ich jetzt Musik und erst vor vier Jahren habe ich meinen ersten deutschen Song geschrieben, vorher habe ich mich damit wenig auseinandergesetzt. Aber seitdem schreibe ich nur noch deutsche Texte, weil ich es unheimlich intensiv finde und die Leute mich einfach komplett verstehen. Das ist etwas ganz ganz Besonderes. Es trägt ein riesiges Energiepotential in sich. Ich finde es schön, dass gerade so viel Interesse an deutscher Musik besteht. Ich glaube aber nicht, dass englische Musik dadurch verdrängt wird, es gab in der Geschichte der deutschen Musik immer diese Wellen. Im Sommer habe ich unter Anderem mit Max Herre und Clueso spielen dürfen. Bosse durfte ich letztes Jahr beim Echo kennenlernen. Das sind alles ganz tolle Menschen, die tolle Musik machen. Trotzdem habe ich immer eher englische Musik gehört und auch eher englische Vorbilder gehabt, was auch nicht weiter schlimm ist, denn jeder von uns macht Musik ja auf seine eigene Art und Weise. Ich empfinde es als Bereicherung, dass es so viele Möglichkeiten gibt, deutsche Musik zu hören.
Du hast gesagt, das Du erst vor vier Jahren angefangen hast, deutsche Texte zu schreiben. Gab es damals ein Schlüsselereignis, das dich von den englischen Texten abgebracht hat?
Es war tatsächlich so, dass ich immer englische Texte geschrieben habe. Ich war in der elften Klasse auch in den USA und bin dort zur High School gegangen. Englisch war daher meine Sprache. Es war also nicht so, dass ich damals nicht auch wert auf die Texte gelegt hätte, das war mir da auch schon wichtig. Aber ich finde es an englischer Musik immer so besonders, dass man in der Musik so viel entdecken kann, weil man eben nicht auf jedes Wort achtet. Ich habe immer gedacht, dass das mit deutscher Musik gar nicht möglich wäre. Ich habe auch gedacht, dass ich niemals deutsche Texte schreiben könnte. Ich habe mich dann irgendwann rangetraut und muss sagen, dass mich das total erfüllt hat. Ich habe mich einfach daran versucht und es war erfüllend. Deswegen habe ich das erst mal weitergemacht und dann kamen immer mehr Geschichten, die mir einfielen. Geschichten wie »Im Schneckenhaus«. Ich habe zwei Familienmitglieder verloren und habe gemerkt, dass ich den ganzen Tag mit Nichtigkeiten beschäftigt bin und mich über unwichtigen Kram ärgere, anstatt das Leben zu genießen. Es gab kein Schlüsselerlebnis für die deutschen Texte, aber ich bin sehr glücklich damit. Ich versuche aber trotzdem auch, dass man bei jedem Wort nicht genau vorgeschrieben bekommt, was man zu fühlen oder zu denken hat. Mir ist es ganz wichtig, dass es einen Spagat gibt zwischen den beiden tragenden Elementen, dem Text und der Musik.
Gibt es dann ein festes Muster nach dem Du vorgehst, wenn du Songs schreibst? Tüftelst Du erst an einer guten Hook herum oder komponierst Du erst die Melodie?
Das ist unterschiedlich. Aber in der großen Mehrzahl ist es zuerst die Musik, die entsteht. Ich sitze nachts gerne an meinem Klavier oder an der Gitarre und klimpere ein bisschen rum. So kommen dann Ideen, die ich aufnehme. Davon verwerfe ich am nächsten Morgen dann das Meiste. Wenn ich dann die richtigen Geschichten erlebe, entsteht der passende Text dazu. Es gibt aber auch Ausnahmen wie »Im Schneckenhaus«, die entstehen Hand in Hand. Solche Stücke sind in eineinhalb Tagen dann auch geschrieben. Manchmal denke ich mir aber auch, wenn ich mal einen Nachmittag frei habe, dass ich mich jetzt hinsetze und überlege, was für schöne Geschichten ich erzählen könnte, und hoffe, dass ich auf eine gute Idee komme. Da gibt es dann Nachmittage, an denen ich dasitze und nicht ein Wort aufschreibe. Und dann gibt es wieder Situationen, an denen die Ideen einfach aus dem Nichts kommen. Die Geschichten kommen zu einem und nicht man selbst zu ihnen.
Dein Album heißt »Hoffnungslos Hoffnungsvoll« - das klingt zunächst widersprüchlich. Was steckt dahinter?
Ich bin insgesamt sehr konträr. Ich glaube, dass ich von Gegenteilen manchmal ein bisschen definiert werde. Ich mag gerne mal laut und direkt und partymäßig unterwegs sein und dann gibt es aber auch wieder Momente, in denen ich mich gerne zurückziehe und in denen ich sehr introvertiert sein kann. Ich glaube aber, dass das keine Eigenschaft ist, die nur mich auszeichnet. Jeden Menschen definieren diese zwei Säulen. Mir fällt das bei mir in meinen Texten aber sehr oft auf, die sind meist konträr. Am Ende finde ich es aber wichtig, dass man einen ganz großen Teil seines Lebens positiv, mit Lebensfreude verbringt. Deswegen fand ich diesen Albumtitel unglaublich treffend. Das hoffnungslose, die Melancholie, ist in meiner Musik manchmal drin, aber insgesamt ist das Leben eben hoffnungslos hoffnungsvoll. Also unglaublich hoffnungsvoll.
Dieses Konträre in dir kommt auch zum Vorschein, wenn Du die Bühne betrittst. Deinen Texten nach zu urteilen, wirkst Du eher nachdenklich und introvertiert, auf der Bühne bist Du aber ein wahrer Entertainer, der das Publikum mitreißt.
Ich bin eben jemand, der zwischendurch viel nachdenkt, aber es gibt auch ganz ganz viele Situationen, in denen ich wie bei »Herz über Kopf« auch einfach das Leben genieße, auch wenn man am nächsten Morgen dann ein paar Situationen mal bereut, wie das eine Bier zu viel. Dafür war es ein super Abend. Ich glaube, dass diese Lebensfreude ganz wichtig ist. Wir leben nur einmal. Trotzdem gibt es gerade in der heutigen Zeit viele Dinge über die man nachdenken muss und für die man sich einsetzen sollte. Ich finde es zum Beispiel toll, dass sich so viele Leute zum Münchener Bahnhof aufmachen und die Flüchtlinge willkommen heißen. Diese Nächstenliebe finde ich sehr gut. Auch wenn es natürlich immer Chaoten geben wird, die Brandsätze werfen oder Ähnliches. Aber ich freue mich darüber, dass die Mehrheit so positiv reagiert und so lebensbejahend ist.
Du hast gerade die aktuelle politische Situation angesprochen. Die Musik bietet ja auch eine Möglichkeit, sein politisches Statement auszudrücken. Hast Du in dieser Hinsicht etwas geplant?
Ich finde das man das mit Vorsicht genießen muss. Politik ist genau wie Musik etwas sehr Subjektives. Musik tut nur niemandem wirklich weh. Es liegt mir fern, meine eigenen politischen Ansichten und Interessen in Musik zu verpacken und den Leuten aufdrücken zu wollen. Das ist etwas, was ich nicht möchte. Gerade beim Flüchtlingsthema möchte ich aber sagen, dass ich es toll finde, dass so viele Menschen helfen. Bei solchen klaren schwarz weiß Themen finde ich das vollkommen legitim. Ich finde aber das Politische muss man immer sehr vorsichtig behandeln.
Wieder zurück zu Deinem Album. An den Songs hast Du vier Jahre lang geschrieben. Die Aufnahmen im Studio haben eineinhalb Jahre gedauert. Warum hast Du dir damit so viel Zeit gelassen?
Das Schöne ist, dass es am Anfang noch keinen Trubel gab. Nicht einmal eine Plattenfirma. Ich habe sehr lange als Backliner gearbeitet und all mein Geld zur Seite gelegt, weil ich den Traum von diesem Album hatte. Ich habe mit meiner Live-Band damals im Proberaum meine vorproduzierte Musik noch mal gemeinsam als Bandversion aufgenommen. Dafür habe ich mir immer viel Zeit gelassen, weil ich sehr detailverliebt bin. Am Anfang des Prozesses habe ich genau gesagt, was ich möchte, das habe ich am Ende des Prozesses auch gesagt, aber da war es nicht mehr das Gleiche, weil man sich immer weiterentwickelt. Ich durfte mit einem ganz tollen Produzenten zusammenarbeiten, der mir unglaublich viel ermöglicht hat. Als meine Kohle zum Beispiel irgendwann alle war, haben wir trotzdem weitergemacht. Er hat einfach genauso viel Herzblut reingesteckt wie ich. Wir saßen nächtelang, tagelang, monatelang in seinem Studio und haben Sachen ausprobiert. Ich fand diese Zeit unglaublich inspirierend und unglaublich intensiv. Es war einfach ein sehr langer Prozess und erst am Ende, als mein Album zu zwei Dritteln fertig war, habe ich mich mit den Plattenfirmen getroffen und habe ihnen zeigen können, wie es klingen wird. Es gibt unglaublich viele Leute, die unbedingt einen Plattenvertrag haben wollen, das war mir zunächst aber nicht so wichtig. Ich wollte mein Album haben und nicht einen Plattenvertrag und dann das Album. Ich wollte zeigen, wofür ich stehe und wofür meine Musik steht, sonst könnte ich wahrscheinlich auch nicht jeden Abend so auf die Bühne gehen. Denn das ist das, was ich liebe und was ich jahrelang so machen könnte.
Würdest Du dein Album als den Beginn einer musikalischen Reise bezeichnen, die in Zukunft vielleicht noch ganz andere Facetten zum Vorschein bringen könnte? Oder bist Du musikalisch angekommen?
Ich glaube Künstler kommen nie ganz an, wir sind immer auf der Suche und möchten uns immer weiterentwickeln. Das Album ist eine Momentaufnahme und damit bin ich auch total glücklich. Es ist mein Album, so wie ich es zu diesem Zeitpunkt haben wollte. Natürlich werde ich mich in Zukunft weiterentwickeln, aber jetzt habe ich erst vor einem halben Jahr mein erstes Album herausgebracht und über viel mehr denke ich gerade noch nicht nach.
Mit »Herz über Kopf« hast Du die Charts gestürmt, der Song wurde bundesweit von den Radio-Sendern rauf und runter gespielt. Im Refrain singst Du die Zeile »Das Herz sagt bleib, der Kopf schreit geh«. Beschreibst du hier eine ganz bestimmte Situation?
Es gibt natürlich ganz viele Situationen, die darauf zutreffen. Für mich gibt es aber eine viel wichtigere Zeile »Die Augen treffen sich«, die kommt zweimal drin vor und ich weiß ganz genau, wie diese Augen aussehen. Gewisse Sachen sind für mich natürlich ganz klar in Erinnerung. Mittlerweile kann ich es aber auch auf ganz viele andere Dinge übertragen. In jedem Song auf dem Album steckt für mich eine schöne Geschichte drin, ein besonderer Text und eine besondere Musik. Ich werde auch oft gefragt, was der Lieblingssong auf der Platte ist. Aber es ist kaum möglich, das zu beantworten, weil jede Nummer auf ihre eigene Art für mich ganz besonders ist.
Neben Deinem Studium hast Du als Backliner für andere Bands gejobbt. Da hast Du sicherlich viel erlebt und gelernt. War es aber nicht auch oft frustrierend, nicht selbst auf der Bühne stehen zu dürfen?
Die Zeit war sehr intensiv, man fährt viel durch das Land und lernt die großen Clubs und Hallen kennen. Auf den Touren habe ich auch viele wichtige Prozesse kennengelernt und vor allem,was für die Musiker wichtig ist. Ehrlich gesagt hat mir das sehr viel geholfen, weil es jetzt meinem Alltag den Stress nimmt. Bestimmte Situationen kenne ich schon und so ist es auch nicht schlimm, wenn es zum Beispiel mal ein technisches Problem gibt. Ich habe es natürlich genossen, unterwegs sein zu dürfen, aber ich wollte schon auch immer selbst auf die Bühne.
Jetzt hast Du es geschafft und stehst selbst auf der Bühne. Doch die teilst Du Dir mit deinen Bandkollegen. Erzähl doch mal was über die Jungs - wer sind die Menschen, mit denen Du momentan ständig unterwegs bist?
Ich bin mit vier anderen Musikern auf der Bühne, meiner Live-Band. Wir kommen alle aus verschiedenen Ecken der Republik. Den Jungs kann ich alles anvertrauen und wir sind ein wenig wie eine kleine Familie geworden. Man passt aufeinander auf und kümmert sich umeinander. Wir werden bis Ende nächsten Jahres zusammen unterwegs sein. In unserem Tourbus leben wir mit unserer Crew, also mit insgesamt zwölf Leuten, auf kleinstem Raum zusammen. Da ist es wichtig, dass man sich blind vertraut und gut versteht.
Am 14. November spielst Du im Audi Forum in Neckarsulm. Was erwartet die Fans bei dem Konzert?
Wir haben immer viel Spaß auf der Bühne, manchmal gehen auch die Humorpferde ein bisschen mit uns durch, das ist für alle Seiten, glaube ich, sehr lustig. Wir lieben es, jeden Abend vor so tollem Publikum spielen zu können. Das ist für beide Seiten ein tolles Erlebnis, das man so schnell nicht vergisst, etwas total intensives. Natürlich sehen auch alle meine Musiker unglaublich gut aus.
Dann bleibt abschließend nur noch die Frage: Bist Du eher ein Herz oder Kopfmensch?
Ich bin leider eher ein Herzmensch.
Wieso leider?
Weil man am nächsten Morgen manchmal so einiges bereut. Zu viel getrunken, zu viel gegessen, zu viel andere Dinge gemacht. Aber am Ende des Tages habe ich auch meinen Kopf – wenn es wichtig ist, versuche ich immer Herz und Kopf in Einklang zu bringen.
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