Joris
Vor kurzem drehte sich alles über den erhobenen Mittelfinger des griechischen Finanzministers Giannis Varoufakis und das Fake-Video von Jan Böhmermann. Wem möchtest Du gerne mal den Mittelfinger zeigen?
Niemandem natürlich! Das macht man einfach nicht. Aber manchmal gerate auch ich in Rage. Mich ärgern zum Beispiel Leute, die sich besonders wichtig nehmen und morgens nicht die Geduld haben, an der Ampel stehenzubleiben, sondern wild hupen müssen. Aber eigentlich will ich gar nicht über so etwas reden. Viel lieber würde ich über das Video von Jan Böhmermann sprechen. Das ist einfach genial. Hast Du das gesehen?
Ja, das habe ich natürlich auch gesehen.
Also ich bin wirklich begeistert. Was für eine gute Idee. Wie aufwendig gemacht, und einfach mal alles auf die Schippe genommen, was gerade abgeht. Ich fand das wirklich sehr schön. Darum gibt es von mir zu diesem Thema auch lieber einen Daumen hoch, als einen Mittelfinger.
Verfolgst Du die aktuellen politischen Diskussionen?
Mich interessiert Politik immer. Politik geht uns alle etwas an. Und wenn ich mir die aktuellen weltpolitischen Themen anschaue, finde ich es erschreckend, was da abgeht. Ich finde es erschreckend, dass wir nach 70 Jahren Frieden in Europa offensichtlich vergessen haben, was für Grausamkeiten während der beiden Weltkriege stattgefunden haben und wie sehr Menschen und Länder darunter gelitten haben. Ich finde es Wahnsinn, wie schnell es geht, dass man dem Kalten Krieg, den ich in meinem Leben nicht miterleben musste – worüber ich sehr froh bin – jetzt wieder eine Tür geöffnet wird. Und was mich noch viel mehr erschreckt, ist, dass die eine oder andere Berichterstattung womöglich nicht der Wahrheit entspricht. Das hätte ich vor zehn Jahren noch für undenkbar gehalten. Ich bin aber niemand, der Politikwissenschaften studiert hat und tiefes Fachwissen auf diesem Gebiet besitzt. Vielmehr bin ich froh darüber, dass ich Musik schreiben darf und damit den Leuten etwas vermitteln kann, und sie damit hoffentlich ein Stück weit glücklicher mache. Ich bin einfach nur ein junger Musiker, der gerade zum ersten Mal in seinem Leben eine Platte fertiggemacht hat. Deswegen habe ich noch lange Zeit, um später einmal über die großen Politik-Themen zu philosophieren.
Dann lass‘ uns doch über Musik und über Dein Debüt-Album sprechen. „Hoffnungslos Hoffnungsvoll“ ist der Titel der CD, was man zum einen ambivalent verstehen kann, mit den beiden Gegenpolen „Hoffnungslos“ und „Hoffnungsvoll“. In einem Zug gelesen, aber auch als „Hoffnungslos Hoffnungsvoll“, also als extrem zuversichtlich. Und wenn man genau zuhört, wohnt sämtlichen Texten der Songs Deines Albums eine gewisse Ambivalenz inne. Ist das Teil Deines Charakters, dieses einerseits grüblerische und andererseits positiv nach vorne Gehende? Wie viel Einblick in Dein Innerstes gewährst Du durch Deine Musik?
Ich nenne mich nicht einfach Joris, sondern heiße wirklich so. Und das hat auch ganz viel damit zu tun, dass ich genau die Musik mache, die ich machen will und die aus mir herauskommt. Das bin zu hundert Prozent ich. In diesem Punkt gehe ich auch unglaublich wenig Kompromisse ein – und wenn überhaupt, dann nur gemeinsam mit meinem Team. Was die Ambivalenz betrifft, glaube ich, dass diese beiden Säulen in der DNA eines jeden Menschen vorhanden sind. Bei mir ist das jedenfalls so. Ich bin in vielen Dingen total aufgeregt, gleichzeitig aber auch schüchtern. Es gibt Momente, in denen ich ganz genau weiß, was ich will – und dann wieder Situationen, in denen ich nur auf mein Herz höre und den Kopf ausschalte. Zum Album-Titel selbst, kann ich eine witzige Geschichte erzählen. Ich stand vergangenes Jahr im September nachts, nach einem langen Tag im Studio, in meinem Badezimmer und habe beim Zähneputzen über den Song »Sommerregen« nachgedacht. Dabei ist mir aufgefallen, dass die meisten Menschen mit dem Wort „Regen“ wahrscheinlich etwas Negatives verbinden, für viele aber Sommerregen eine total positive Bedeutung hat. Diese Ambivalenz habe ich in diesem Moment zum ersten Mal bewusst wahrgenommen. Und als ich dann über die anderen Songs nachgedacht habe, habe ich festgestellt, dass dort überall Gegensätze drinstecken. In diesem Moment war mir klar, dass »Hoffnungslos Hoffnungsvoll« der Titel des Albums wird, weil das eben auch diese Kontraste in sich trägt. Gleichzeitig drückt es aber auch das aus, was mir wichtig ist im Leben – nämlich zu einem wesentlich höheren Prozentsatz glücklich zu sein, als unglücklich.
Wie ist Deine Band und das Team um Dich herum entstanden?
Musik mache ich ja schon ganz lange. Vor zwei Jahren habe ich dann in Mannheim nach und nach die Jungs von meiner Band getroffen. Nach und nach kamen die Jungs dazu, das hatte so ein wenig was von der Reunion der Blues Brothers, und wir haben uns viel Zeit dafür genommen meine Songs gemeinsam zu arrangieren. Außerdem hatten wir damals auch schon damit angefangen, einige Songs aufzunehmen. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir die ersten Demos bereits Mitte 2013 fertig.
Gab es für Dich jemals einen Plan B neben der Musik?
Mein Traum war es schon immer, dieses Album zu machen. Ich wusste nur nicht wie. Denn so etwas kostet unglaublich viel Geld, das kann man sich gar nicht vorstellen. Alleine eine normale Studio Miete hätte ich mir kaum leisten können für einen solchen Zeitraum, ohne dass sonst irgendjemand bezahlt worden wäre. Ich habe überlegt und überlegt – und dann im September 2013 Ingo Politz kennengelernt, einen meiner beiden Produzenten,. Wir haben uns ganz lange über meine Musik unterhalten und Ingo war total überzeugt davon. Am Ende hat er gesagt: »Scheiß auf‘s Geld! Es kommt darauf an, dass wir Musik machen. Ich lade Dich ein und wir gucken, ob das zusammenpasst.« Wir sind dann ins Studio gegangen und es war unfassbar. Ich glaube, wir haben fünf Titel innerhalb von sechs Tagen reingenagelt, und es hat unglaublich viel Spaß gemacht. Mir war einfach sofort klar, das ist genau das Richtige und so will ich weitermachen. Es ging einfach nie ums Geld. Vielmehr hat Ingo gesagt: »Selbst wenn das keiner haben will, dann zahle ich die erste EP und wir machen 20.000 Platten auf eigene Faust.«
Wie bist Du dann zu FOUR Music gekommen, und hattest Du alle Freiheiten, die Du brauchtest, bei der Produktion des Albums?
Die Branche ist zum Glück aber doch ziemlich schnell auf uns aufmerksam geworden und es haben sich nach und nach Labels gemeldet. Am Ende ist es dann FOUR Music geworden, weil das einfach ein tolles Team ist. Die haben meine Mucke komplett verstanden und nehmen mich so wie ich bin. Das hat einfach perfekt gepasst. Ich weiß auch nicht. Seit zwei Jahren habe ich einfach einen unglaublichen Glückslauf. Die Jungs von der Band sind meine besten Buddys geworden, mit denen ich auch meine private Zeit supergerne verbringe. Mein Manager ist ein Supertyp und ein sehr loyaler Mensch, meine Produzenten sind toll und auch meine Booking-Agentur FOUR Artists mit Dani (Daniel Schleith) ist großartig. Das ganze Team passt einfach menschlich wunderbar zusammen. Im Moment ist alles total toll. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass das ganz viel damit zu tun hat, dass jeder in diesem Team Lust auf das hat, was wir machen, und merkt, dass er und seine Meinung willkommen sind. Hey, wir machen sogar Yoga vor der Bühne. Mein Drummer Bino und der Basser Tobi sind beide sehr yogaaffin (lacht). Ich hätte vor zwei Jahren auch nicht gedacht, dass ich jemals Yoga machen werde. Aber das erdet uns, das führt uns zusammen und das ist mir sehr wichtig. Darum bin ich mir sicher, dass wir das alles auch dann genau so machen würden, selbst wenn es nicht so gut liefe.
Joris Do. 7. Mai, 20 Uhr, Keller Klub, Stuttgart, www.jorismusik.de