"Die Erinnerung an Torre di Venere ist atmosphärisch unangenehm."
Mit diesen Worten beginnt Thomas Manns Novelle "Mario und der Zauberer" aus dem Jahr 1930, in welcher der Autor Erlebnisse aus einem eigenen Italienurlaub im Sommer 1926 verarbeitet. Er schildert die sich ausbreitende nationalistische Stimmung im Land.
Der Ich-Erzähler macht Urlaub im Grandhotel im Badeort Torre di Venere. Eindeutig werden die Italiener bevorzugt behandelt. Abwechslung verspricht die groß angekündigte Schau des Hypnotiseurs Cipolla. Dieser verwachsene Mann mit bösen Augen scheint eine unendliche Macht über sein Publikum zu haben. Er zwingt manche Zuschauer, unmögliche Dinge zu tun, und bricht offenbar ihren Willen.
"Die Freiheit existiert, und auch der Wille existiert, aber die Willensfreiheit existiert nicht, denn ein Wille, der sich auf seine Freiheit richtet, stößt ins Leere", nimmt Cipolla den Besuchern der Show die Hoffnung, ihm widerstehen zu können. Trotz seines entwürdigenden Treibens verfolgt das Publikum gefesselt und mit angewiderter Bewunderung das sich vor ihren Augen steigernde Schauspiel. Als der Kellner Mario das nächste Opfer von Cipollas bösartiger Manipulation wird, nimmt der Abend eine dramatische Wendung. "Mario und der Zauberer" wurde im Nachhinein als Parabel auf den heraufziehenden Faschismus gedeutet: Cipolla als Verführer und Lenker der Massen, dem man sich trotz innerer Widerstände nicht entziehen kann, fand damals seine Pendants in der Politik und er findet sie auch heute: unheimlich und brandgefährlich